Schach in Zeiten des Corona-Virus
In der Schachwelt sind die Einschränkungen durch das Corona-Virus viel weniger spürbar als in anderen Bereichen. Nicht nur das Kandidatenturnier in Jekaterinburg geht planmäßig über die Bühne. Auch die Online-Schachclubs haben Hochsaison.
An einem Detail bemerkt man beim dem Turnier in Jekaterinburg natürlich schon, dass auch Schachspieler von dem berührt sind, was sich den außerhalb der 64 Felder des Schachbretts ereignet: Die Spieler geben sich nicht mehr die Hand vor dem Beginn der Partie. Ein solches Verhalten hätte bis vor kurzem noch als anstößig gegolten, mit diesem Kandidatenturnier ist zur Normalität geworden. Manche Kontrahenten rempeln sich nur noch freundschaftlich mit dem Ellbogen an, bevor sie sich ans Brett setzen.
Ansonsten findet der Ausscheidungswettkampf wie geplant statt. Bis 4. April soll feststehen, wer der acht qualifizierten Spieler das Recht hat, gegen Ende des Jahres den amtierenden Weltmeister Magnus Carlsen zu einem Titelkampf herauszufordern. Inzwischen sind drei von 14 Runden gespielt, nach einem Ruhetag wird das Turnier am Samstag mit der vierten Runde fortgesetzt.
Für Schachspieler geht also das Leben in Zeiten der Quarantäne fröhlich weiter. Nicht nur, dass das eines der spannendsten Turniere des Jahres wie geplant stattfindet, auch das Drumherum funktioniert. So kommentiert zum Beispiel Markus Ragger, der derzeit stärkste Spieler Österreichs, die Partien aus Jekaterinburg online auf den Seiten des Österreichischen Schachverbands.
Im Online-Schachklub
Und auch darüber hinaus sind die Schachspieler schon seit Langem aus der analogen Welt verrauchter Hinterzimmer von Kaffeehäusern in eine wunderbare digitale Parallelwelt gewechselt. Begonnen hat alles im Jahr 1995, als Daniel Sleator, Professor an der Universität Philadelphia, mit Unterstützung von Studenten offiziell den ICC eröffnete, den “Internet Chess Club”. In kürzester Zeit versammelten sich dort Spieler aus aller Welt und da von allem Anfang Großmeister eine Gratismitgliedschaft angeboten wurde, war das Niveau der Partien bald auf erstaunlich hoch. Auch Weltmeister wie Garri Kasparow oder Vladimir Kramnik spielten beim ICC. Bald kamen noch andere Features dazu, wie sie ein durchschnittlicher Schachclub nie hätte anbieten können: regelmäßigen Gruppenunterricht, Coaching, kommentierte Übertragungen von großen Turnieren, Trainingsvideos.
Im Laufe der Jahre gab es viele Versuche, etwas Ähnliches wie den ICC auf die Beine zu stellen. Erfolgreich war schließlich die Plattform “playchess”, die im Jahr 2001 einen ähnlichen Server eröffnete. Hinter “playchess” standen die Programmierer der Hamburger Firma “chessbase”, die die Schachsoftware “Fritz” entwickelt hatten, die es mittlerweile in der Version “Fritz 17” gibt. Berühmt wurde Fritz auch für Nicht-Schachspieler, als es im Jahr 2003 dem damaligen Weltmeister Garri Kasparow nicht gelang, Fritz in der Version “Deep Fritz” zu besiegen und das in aller Welt verfolgte Match 2:2 endete. Noch schlimmer ging es Kasparows Nachfolger Wladimir Kramnik, der drei Jahre später gegen die neuste Version der Software 2:4 unterging.
Chess.com
Neben dem ICC und playchess etablierte sich schließlich 2007 ein weiterer Online-Schachklub mit dem Namen “Chess.com”, den Googles Alexa für den heute am häufigsten frequentierten Klub der Welt hält. 114 Mitarbeiter halten Betrieb am Laufen und es gibt neben unzähligen Lehr- und Trainingsmöglichkeiten alle Features, die eine moderne Social-Media-Plattform ausmachen. Man kann als Gast einloggen oder zwischen drei verschiedenen Formen der Mitgliedschaft wählen, ein Online-Shop bietet alles, wovon Schachspieler auch in der analogen Welt nur träumen können, Bretter, Uhren, Videos und sogar noch liebenswürdig altmodische Bücher.
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chess.com
Quellenangabe: Wiener Zeitung
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Markus Ragger